In Deutschland daheim, in der Welt zu Hause?

Diskussionsanstoß: @CoKoppetsch auf @Soziopolis zur #Heimat-Debatte. Kulturelle Offenheit und #Kosmopolitismus der urbanen akademischen Mittelklasse werden kompensiert durch ein hochgradig effektives Grenzregime, das über #Immobilienpreise und #Mieten, über ein sozial und ethnisch hoch selektives Bildungswesen sowie über den Zugang zu exklusiven Freizeiteinrichtungen und Clubs gesteuert wird. Die Abgrenzung erfolgt nicht nach außen, sondern nach unten.

Ring frei zur langen Diskussion während der Feiertage und “zwischen den Jahren”. Eine große Bitte vorab: erst wirklich ganz durchlesen, dann länger überlegen, dann gern viel schreiben, auch energischen Widerspruch, den auch wir schon jetzt anmelden.

Soziopolis: ” In Deutschland daheim, in der Welt zu Hause?
von Cornelia Koppetsch

Alte Privilegien und neue Spaltungen

Was ist Heimat? Und warum reden plötzlich alle über sie? …

Zwar sind die beiden Heimatvorstellungen konträr, doch erfüllen sie durchaus vergleichbare Funktionen im Lebenszusammenhang ihrer Trägermilieus. In beiden Modellen geht es um kulturelle Selbstvergewisserung, soziale Exklusivität und Zugehörigkeit. Heimat, auch die kosmopolitisch verstandene, wird niemals nur von einem Einzelnen besessen, sondern ist Ausdruck eines in spezifischen Räumen beheimateten „Wir“, das durch Grenzen aufrechterhalten wird. Die Gegensätzlichkeit der beiden Lebensauffassungen sollte daher nicht den Blick dafür verstellen, dass auch Kosmopoliten keineswegs uneingeschränkt ,offen‘ sind, sondern spezifische soziale Räume bewohnen, die sie gegenüber anderen Gruppen abschließen.

Zwar zeichnet die urbane akademische Mittelklasse sich durch einen hohen Grad an räumlicher – teilweise auch transnationaler Mobilität – aus. Dass man den räumlichen Lebensmittelpunkt gezielt auswählt, etwa indem man den Ort, an dem man geboren wurde und aufgewachsen ist, mit Beginn des Studiums oder aber spätestens mit dem Eintritt ins Berufsleben verlässt, erscheint für die Subjekte der akademischen Klasse eine Selbstverständlichkeit. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Das urbane Umfeld bietet Ausbildungsorte, vor allem Universitäten und hochqualifizierte Arbeitsplätze. Zugleich hält es zahlreiche Angebote für einen kosmopolitischen Lebensstil bereit: Kinos, Museen, Galerien, Restaurants und exklusive Life-Style-Geschäfte bieten nicht nur zahllose Möglichkeiten für anspruchsvolle Formen der Unterhaltung und des Konsums, sondern auch soziale Netzwerke und Inspirationen. Wie sozialgeografische Studien zeigen, ballen sich die entsprechenden Milieus vor allem in den Großstädten und Metropolregionen und ihrem jeweiligen Umland. …

Nichts liegt den Kosmopoliten ferner. Weltoffenheit und die Ausgestaltung einer historisch und kulturell gleichermaßen gesättigten wie vielfältigen Urbanität stehen ja im Zentrum des Heimatgefühls der akademischen Mittelklasse. Allerdings verfügen auch die vermeintlich offenen Kulturkosmopoliten über ihre ganz spezifischen Grenzanlagen. Die Raumaneignung der urbanen akademischen Mittelklasse beinhaltet zwar transnationale Bewegungen und öffnet die angestammten Territorien auch für die (kosmopolitischen) Bewohner anderer Länder, doch spielen sich diese Öffnungen stets innerhalb desselben soziokulturellen und geografischen Rahmens urbaner Lebensräume ab. Zu den wirkungsvollsten Grenzanlagen gehört die kapitalistische Ausrichtung des Lebensstils, denn das eigene Territorium wird primär im Modus ökonomischer Grenzen verteidigt. Kulturelle Offenheit wird somit kompensiert durch ein hochgradig effektives Grenzregime, das über Immobilienpreise und Mieten, über ein sozial und ethnisch hoch selektives Bildungswesen sowie über den Zugang zu exklusiven Freizeiteinrichtungen und Clubs gesteuert wird. Die Abgrenzung erfolgt nicht nach außen, sondern nach unten. Es sind vor allem die ökonomischen Privilegien, die wirkungsvolle Schutzzäune gegenüber unteren Schichten und Migranten darstellen. Gut situierte und gebildete Migranten werden von den einheimischen Kosmopoliten als unproblematisch empfunden, sozial schwache und gering qualifizierte Migranten hingegen kommen in den privilegierten Quartieren gar nicht erst vor. Deshalb werden sie von den Bewohnern der kulturell homogenen Milieus auch nicht als Konkurrenten um begehrte Güter wie gesellschaftliche Machtpositionen, Arbeitsplätze, günstigen Wohnraum, Sexualpartner, Sozialleistungen oder staatliche Zuwendungen wahrgenommen.

Das erklärt auch, warum sich Kosmopoliten für gewöhnlich nicht von Migranten irritieren lassen. Für Kosmopoliten in Berliner Bezirken wie Kreuzberg oder Prenzlauer Berg, die zumeist über exklusive Lebensräume und höhere Gehälter verfügen, besitzen fremdenfeindliche Anwandlungen schlicht keine lebensweltliche Grundlage. Migranten – sofern sie nicht auch zur gehobenen Mittelschicht gehören – kommen in dieser Welt zumeist als „Diener“, das heißt als Wachschützer, Verkäuferin, Paketfahrer, Kellnerin oder Hilfsarbeiter vor – oder eben in der Rolle hilfsbedürftiger „Flüchtlinge“. Als Angehörige eines neuen Dienstleistungsproletaria[ts] haben Migranten zwar ihren Arbeits-, aber eben nicht ihren Lebensmittelpunkt in den Vierteln der kosmopolitischen Mittelschicht. Sollten Zuwanderer dennoch einmal Anlass zu Irritationen geben, etwa weil Migrantenkinder mit Sprachschwierigkeiten aus dem globalen Süden oder aus „Gastarbeiterfamilien“ in die gleiche Schule gehen wie der hoffnungsvolle Nachwuchs der gebildeten Besserverdiener, reagieren die betroffenen Eltern nicht selten mit der stillschweigenden Wiederherstellung der räumlichen Trennung, indem sie ihre Kinder von den betreffenden Einrichtungen abmelden und sie in exklusive oder gleich in private Schulen schicken. … .”

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