«Es geht uns unglaublich gut – und schlecht»

Interview mit Soziologen Heinz Bude über die #AfD, das #Verbitterungsmilieu, das wachsende #Dienstleistungsproletariat u.a.m.

Tages-Anzeiger vom 30.3.2016: «Es geht uns unglaublich gut – und schlecht»

„In ganz Deutschland kochen die Emotionen hoch: hier das ungelöste Flüchtlingsproblem, dort die hohen Wahlergebnisse für die AfD. Was ist schlimmer, die Lage oder die Stimmung?

TA: Jetzt hat bei den Landtagswahlen die AfD gleich dreimal gewonnen, also eine Partei, die das Fenster lieber zumacht. Was sagen Sie als Stimmungsdiagnostiker dazu?
Bude: Die untergründige Stimmung der Gereiztheit, die wir seit sechs bis acht Jahren haben, intensiviert sich gegenwärtig noch einmal. Viele Menschen haben den Eindruck, die Zukunft sei verschlossen und verbaut und die Gegenwart entgleite ihnen. Es handelt sich um das, was ich Verbitterungsmilieu nenne, immerhin zehn Prozent der Bevölkerung, mit relativ gutem Einkommen, relativ hoher Bildung, aber dem Gefühl, unter ihren Möglichkeiten geblieben zu sein. Zusammen mit dem neu entstandenen Dienstleistungsproletariat macht das 25 Prozent. Es sind diese Leute, die die Volksparteien verloren haben.

TA: Warum hat die AfD gerade im Osten so stark gewonnen – dort gibt es doch die wenigsten Flüchtlinge?
Bude: Es gibt immer eine Hierarchie des Hierseins. Der klassische Ostdeutsche fühlt sich bis heute als Bürger zweiter Klasse. Er ist der Bundesrepublik ja beigetreten.

TA: … und fühlt sich als Einwanderer, ohne sich überhaupt bewegt zu haben.
Bude: Genau. Und wenn Flüchtlinge ins Land kommen, wendet sich die Hierarchie des Hierseins gegen sie. Diese greift auch bei anderen Gruppen. Die Spätaussiedler der 90er-Jahre sagen jetzt: Wer hat eigentlich damals für uns die Arme ausgebreitet? Es wird auch den gut integrierten Deutschen mit türkischen Wurzeln geben, der sagt: Die arabischen Muslime sind was völlig anderes als wir. … .“

http://www.tagesanzeiger.ch/leben/gesellschaft/Es-geht-uns-unglaublich-gut–und-schlecht/story/28892853 Quelle: Der Soziologe Heinz Bude findet das Gefühl einer verstellten Zukunft im Milieu der «Verbitterten» und beim Dienstleistungsproletariat.