Würde des Sachsen hängt vom Wohnort ab

Sachsen: Matthias Vogt (Hochschule Zittau/Görlitz) über die #Abwanderung, „#Agglomeritis“, #Elitenverlust, die kaum mehr vorhandene #Zivilgesellschaft, #Pegida und anderes mehr

szonline: Dann also erneut die Frage: Wie steht es um die sächsischen Landkreisräume?
Vogt: Seit den Zeiten von Kurt Biedenkopf folgt die Staatsregierung der fatalen Ideologie der „Wachstumskerne“. Das will sagen, dass die Politik zuerst die Großstädte und hier wiederum besonders die Metropolen fördert. Dann lange nichts. Dann immer noch nichts. Dann die Großbauern. Und wenn dann nichts mehr übriggeblieben ist, dann werden ganz am Ende die Mittel- und Kleinstädte gefördert.

szonline: Was ist das Ergebnis dieses „Wachstumskern“-Ansatzes?
Vogt: Gerade junge Menschen haben verstanden, dass der Landkreisraum der Politik nichts wert ist und dass auch deshalb dort der Partnermarkt nicht funktioniert, der Arbeitsmarkt, der Freizeitmarkt. Also ziehen sie weg, nach Dresden und Leipzig und vor allem in die westdeutschen Großstädte.

szonline: Na und? Was ist das Problem?
Vogt: Das zentrale Problem des Landkreisraums heißt Geist, geistige Unabhängigkeit und die damit mögliche tätige Mitverantwortung. Indem gerade die jungen, gebildeten und mobilen Menschen, und hier wiederum besonders die jungen Frauen, in die Metropolstädte ziehen, wird der Geist vermindert. Es ist wie eine Art von Krankheit, die die Köpfe vernebelt; ich nenne sie „Agglomeritis“. Auch nach der Ausbildung kommen sie dann nicht zurück, nicht nur die Landarztstellen bleiben unbesetzt. Wie wollen Sie, wenn diese Tendenz sich fortsetzt, umsichtige Führungskräfte für die Verwaltung oder die lokale Politik heranziehen? In manchen kleineren Orten Brandenburgs findet man schon heute keine Bürgermeisterkandidaten.

szonline: Welche Rolle spielt die Bevölkerung im ländlichen Raum, wenn es um Phänomene wie Pegida geht?
Vogt: Der Freistaat hat die Dramatik der Entfremdung in den Landkreisräumen noch nicht verstanden. Es gibt keine der Größe des Problems angemessenen Programme zur Ortsverbundenheit oder zur Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engagements. Man gibt Gutachten in Auftrag, die die Entvölkerung des Landkreisraumes als naturnotwendige oder gottgegebene Unumstößlichkeit darstellen. Und wundert sich dann über den Aufschrei der Landräte. Diese Systemrealität trägt ihre Mitschuld an noch ganz anderen Problemen als nur Pegida. … .”

http://www.sz-online.de/nachrichten/kultur/wuerde-des-sachsen-haengt-vom-wohnort-ab-3520605.html Quelle: Ohne politische Programme geht die ländliche Region baden – sagt der Experte, der das Kulturraumgesetz erfand.