Folgen der Landflucht: Russlands sterbende Dörfer – SPIEGEL ONLINE – Wirtschaft

Russland: Massives #Dorfsterben als Folge der #Landflucht. In Teilen Zentralrusslands haben die Menschen 1/3 aller Siedlungen aufgegeben. Nur Regionen im Umfeld der wirtschaftlich erfolgreichen #Großstädte sind stabil oder wachsen.

SPIEGEL ONLINE: “Als Russland im Jahr 2010 eine Volkszählung vornahm, machten die Statistiker unangenehme Entdeckungen: Von landesweit rund 150.000 auf den Karten verzeichneten Dörfern und kleineren Ortschaften sind rund 20.000 inzwischen gar nicht mehr bewohnt. Bei weiteren 30.000 gibt die offizielle Statistik die Einwohnerzahl mit weniger als zehn an. …

Natürlich: Landflucht ist kein ausschließlich russisches Phänomen. Auch in Deutschland streben viele Bewohner in die größeren Städte, steuern Landstriche faktisch auf eine Entvölkerung zu. “Das ist Teil der globalen Wanderung der Bevölkerung vom Land in die Städte, in Russland ist dieser Prozess noch nicht vollendet”, sagt Nikita Pokrowskij. Der Soziologe ist Professor an der angesehenen Higher School of Economics. …

Die Krise des Dorfes falle in Russland auch deshalb drastischer aus als in Westeuropa, “weil die Territorien so kolossal sind und der besiedelte Raum zerrissen”, sagt Pokrowskij. Während in Deutschland etwa viele Dörfer dicht an dicht liegen und “einen gemeinsamen sozialen Raum bilden, stehen in Russlands Norden die Dörfer weit weg voneinander”. …

Laut russischem Statistikamt Rostat ist in ländlichen Regionen der Anteil von Kindern und Jugendlichen bis 19 Jahre höher als in großen Städten. Allerdings zeigt die Statistik auch: Bei der Altersgruppe 20 bis 24 Jahre dreht sich das Verhältnis um. Mit anderen Worten: Viele junge Dörfler suchen das Weite, sobald sie volljährig sind.

Gleichzeitig beobachtet der Moskauer Soziologe Pokrowskij auch eine Gegenbewegung: Vor allem aus den lauten und von Verkehrsproblemen geplagten Metropolen Moskau und Sankt Petersburg würden viele junge, gut ausgebildete Russen auf das Land fliehen. “Manche leben einige Monate dort und arbeiten den Rest des Jahres weiter in der Stadt”, sagt Pokrowskij. Andere können ihre Arbeit auch ständig im Dorf erledigen, Computer und das in Russland weitgehend flächendeckend ausgebaute Internet machen es möglich.

Davon profitieren allerdings vor allem die Regionen im Umfeld der wirtschaftlich erfolgreichen Großstädte. Was mit dem ländlichen Raum im Rest des Riesenreichs geschehen soll, darüber ist sich die Führung in Moskau nicht recht einig. Im Kreml streiten wie üblich vor allem zwei Denkschulen um Einfluss: Die meist westlich geprägten Wirtschaftsliberalen halten das alte Ziel einer flächendeckenden Besiedelung des Landes für utopisch – und nicht finanzierbar.

Ihre Gegner – meist patriotisch gesinnt – hängen hingegen der romantischen Vorstellung einer “Wiedergeburt des russischen Dorfes” an. Nur: Eine schlüssige Strategie haben sie auch nicht vorgelegt.”

http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/russland-warum-die-doerfer-sterben-a-1179592.html