Positionspapier »Leipzig – Stadt für alle«
26. Januar 2024
Krise auf dem Wohnungsmarkt
Der Wohnungsmarkt befindet sich in einer akuten Krise: Die Wohnungsknappheit in Leipzig ist so ausgeprägt wie zuletzt nach der Wiedervereinigung vor ca. 30 Jahren. Wer um- oder zuziehen will, findet auf den einschlägigen Wohnungsportalen kaum noch Angebote. Und die, die dort zu finden sind, sind teuer. Die Angebotsmieten sind auch während der Corona-Pandemie weiter gestiegen, wie die Entwicklung zwischen 2019 und 2022 zeigt. Dazu kommen die starken Anstiege der Nebenkosten seit Beginn des Krieges in der Ukraine, insbesondere bei den Heizkosten. Das stellt viele vor ganz grundlegende Existenzprobleme und die Wohnungslosigkeit nimmt sichtbar zu.
Nichts Neues: Mehr Menschen → mehr Bedarf
Ein Hintergrund der akuten Wohnungsknappheit ist die ungebrochene Zuwanderung nach Leipzig. Selbst in den Corona-Jahren wuchs die Bevölkerungszahl Leipzigs noch moderat weiter, 2022 war dann wieder ein Ausnahmejahr mit einem exorbitanten Wanderungssaldo von 16.399 Menschen, davon ca. 10.000 Geflüchtete aus der Ukraine. Und die Stadt rechnet mit weiterem Wachstum. In der Bevölkerungsvorausschätzung geht die Stadt in ihrer Hauptvariante von einem Wachstum auf ca. 664.000 Einwohner*innen bis 2040 aus (Stadt Leipzig 2023). Dafür werden weiterhin jährlich ca. 2.000–2.500 zusätzliche Wohnungen benötigt – vor allem preiswerte. Der Wohnungsbau bleibt jedoch hinter diesem Wachstum zurück, mit dem Krieg in der Ukraine brach der Bau ein. Bereits für 2023 sowie die kommenden Jahre muss mit deutlich niedrigeren Fertigstellungszahlen gerechnet werden. Damit tut sich zwischen der prognostizierten Nachfrage und dem rückläufigen Neubau eine Schere auf. Aber was passiert dann mit den Mietpreisen?
Wohnungspolitik in der Krise
Während der Corona-Pandemie hatte die Wohnungspolitik an Relevanz eingebüßt, andere Probleme waren dringlicher. Danach begann der Krieg in der Ukraine und verschob erneut die politischen Prioritäten. Nicht zuletzt die massive Fluchtmigration aus der Ukraine hat die Wohnungsfrage wieder auf die Agenda gebracht. Die Krise des Wohnungsmarktes wird gegenwärtig zu einer Krise der Wohnungspolitik, denn wesentliche Instrumente – wie z. B. die soziale Wohnraumförderung – funktionieren nicht mehr wie bisher. Wir fragen uns, wie die aktuelle Fortschreibung des Wohnungspolitischen Konzeptes der Stadt Leipzig auf diese neue Situation reagiert?
Aber wie weiter? In der Gegenwart gibt es keine einfache Lösung für die Wohnungsfrage, dennoch gibt es einige Forderungen, die wir an die Politik adressieren:
1. Umnutzung und Sanierung statt Neubau
Ein allgemeines Mantra, wenn es um die Schaffung von günstigem Wohnraum geht, ist „Bauen, bauen, bauen!“ Gerne von den Profiteuren der Immobilienwirtschaft (ZIA, BFW, DdW etc.) gefordert, bezieht sich diese Aussage auf einen angeblichen Sickereffekt, bei dem die Ausweitung des Wohnungsangebotes durch Neubau Umzugsketten auslöst. Unter den Bedingungen eines angespannten Wohnungsmarktes wie in Leipzig treten solche Sickereffekte jedoch nicht auf. Im Gegenteil – die obligatorische Erhöhung der Miete bei Neuvermietungen führt dazu, dass Wohnungen in höhere Preissegmente „wandern“. Der Neubau bedient weit überwiegend ein kleines Segment teurer Wohnungen für Gutverdienende und hat keine positiven Effekte im Bereich des preiswerten Wohnens für Normal- bzw. Geringverdiener*innen.
Folgekosten – Klimaschäden durchs Bauen
Nicht nur die Baukosten sind hoch, sondern auch die Folgekosten für das Klima, wenn neu gebaut wird. Um die Klimaschäden nicht größer werden zu lassen, ist an dieser Stelle auch eine umweltpolitische Kritik am Neubau, wie er derzeit meist gebaut wird, anzubringen. Die Stahlbetonbauten, wie sie fast ausschließlich gebaut werden, sind schon lange nicht mehr tragbar. Die Schäden, die durch die graue Energie der Bauteile, aber auch durch die Versiegelung der Flächen entstehen, sind groß. Der Fokus sollte demnach ein anderer sein:
Sanierung statt Neubau
Beim Bauen wird viel Energie verbraucht. Die Herstellung von Baumaterialien, deren Transport und der Bau selbst benötigen jede Menge fossiler Energie und verursachen hohe Emissionen. Die Weiternutzung bestehender Gebäude verbraucht jedoch deutlich weniger Energie als die Errichtung neuer Objekte. Hinzu kommt, dass für die Errichtung von Neubauten häufig Flächen frei gemacht und Gebäude abgerissen werden müssen. So werden Bestandsgebäude zu Sondermüll – anstatt zu neuem Wohn- oder Lebensraum. Aus unserer Sicht braucht es gute Umnutzungskonzepte, die ermöglichen, dass Bestandsgebäude eine zeitgemäße Nutzung bekommen. Es gibt bereits gute Beispiele für die Umnutzung von Gewerbeobjekten zu Wohnbauten. Trotz der herausfordernden verschiedenen Gebäudetiefen, haben Umnutzungen Potentiale, die auch genutzt werden sollten.
Es ist nicht zeitgemäß, weitere Flächen zu versiegeln. Die Freiflächen in der Stadt werden für die Durchlüftung, Grün und die Speicherung von (Regen-)Wasser gebraucht. Vor dem Hintergrund der Klima- und der finanziellen Kosten ist Sanierung statt Neubau das Gebot der Stunde.
2. Wohnungstausch vereinfachen
Schon länger ist klar, dass wir nicht mehr Fläche pro Kopf verbrauchen können. Viele wohnen in zu großen Wohnungen mit alten, günstigen Mieten – ein Umzug würde nicht nur Verkleinerung, sondern auch Mieterhöhung bedeuten. Wir fordern eine Vereinfachung des Wohnungstausches mit dem Verbot von Mieterhöhungen und wir wollen Tauschbörsen größerer Wohnungsunternehmen. Zudem ist es zu begrüßen, wenn in Neubauten Cluster-Modelle mitgedacht werden, um Wohnungen an veränderte Lebenssituationen anzupassen.
3. Ökologisch Bauen: Bauwende gestalten
Es ist mittlerweile allgemein bekannt, dass die vormals geltende Energieeinsparverordnung (EneV) keine Förderung des ökologischen Bauens bewirkte. Trotz ähnlicher Dämmwerte von Naturdämmstoffen sind auf fossilen Ressourcen basierende Baustoffe wie Styropor beliebter, da sie preiswerter sind. Die Energieeinsparverordnung wurde als politisches Instrument geschaffen, um Akteure zur Sanierung ihrer Gebäude anzuregen. Die EneV bewertet zum einen die Heizquelle eines Gebäudes und zum anderen die Dämmwerte der Gebäudehülle. Die gewonnene Einsparung des fertigen Gebäudes wird in verschiedenen Klassen eingeteilt, auf dessen Grundlage schließlich die Förderung basiert.
Ressourcensparend bauen
Es ist hinlänglich bekannt, dass z. B. für die Herstellung von Beton ein hoher Ressourcenbedarf besteht. Sand und Zement sind knappe Ressourcen (https://www.materialepyramiden.dk/) und im Gegensatz zu Holz nicht nachwachsend. Es muss also möglich – da notwendig – sein, ein neues Kriterium zur ökologischen Bewertung von Materialien zu schaffen, denn die Energiebilanz des gesamten Bauprozesses muss in einer Verordnung Berücksichtigung finden. Wir fordern, dass ausschließlich nachhaltige Baustoffe aus nachwachsenden Rohstoffen verwendet werden dürfen, um so klimaneutral wie möglich zu bauen.
Nachhaltig planen
Alternativen zu diskutieren und zu fördern, ist die Aufgabe aller, die am Bau beteiligt sind. Jede*r kann Fragen an Auftraggebende und Planende stellen: Ist ein Holzbau möglich? Kann eine andere Zementklasse verwendet werden, Lehmbauplatten statt Gipskarton? Insbesondere bei Sanierungen. Wenn die Nachfrage in diesen Märkten steigt, sollten auch die Bedenkenträger*innen überzeugt werden. Die Offenheit und Bereitschaft zur Investition muss von staatlicher Seite gefördert werden.
Gleichzeitig müssen wir den Bedarf hinterfragen: Wie groß muss ein neues Büro sein? Wie kann ein Gebäude auch später genutzt werden? (https://www.architects4future.de/forderungen)
4. Vergesellschaftung – Prinzip Kostenmiete
Wohnungsunternehmen bauen nur, wenn sie entsprechende Profite erzielen können. Das passiert aber immer auf Kosten der Mieter*innen. Wenn es diese Profite nicht geben würde, wären die Mieten günstiger. Wir fordern also eine Vergesellschaftung von Wohnraum, ob als Genossenschaften, in Selbstorganisation oder kommunaler Hand. Ein Mittel, um dieser ein Stück näher zu kommen, wären die Wiedereinführung der Neuen Wohnungsgemeinnützigkeit, der sofortige Stopp der Veräußerung kommunaler Flächen, die Nutzung von Vorkaufsrechten und die Förderung von Hausprojekten.
5. Mietenstopp
Die Mieten sind in den letzten Jahren auch in Leipzig weiter gestiegen und legten selbst in den Corona-Jahren 2020 und 2021 weiter zu, die Bestandsmieten und die Angebotsmieten stiegen jeweils um 7,3 % (AWS 2022, S. 7). Wir schließen uns den Forderungen der Mietenstopp-Kampagne an: Um Mieter*innenhaushalte nicht noch weiter finanziell zu überfordern, müssen Mieterhöhungen in bestehenden Mietverhältnissen differenziert nach Wohnungsmärkten für sechs Jahre stärker begrenzt werden. Beim Abschluss neuer Mietverträge sind Mieter*innen der angespannten Marktsituation besonders ausgesetzt. Deshalb muss die Mietpreisbremse deutlich nachgeschärft werden und bundesweit gelten. Die aus Modernisierungen resultierenden Preissteigerungen sind für sehr viele Mieter*innen nicht leistbar. Daher soll die Mieterhöhung nach Modernisierung und Energieeinsparungsmaßnahmen ab sofort von bisher 8 % auf höchstens 4 % der Investitionskosten gesenkt und zusätzlich gedeckelt werden. (https://mietenstopp.de)
6. Sozialer Wohnungsbau zu sozialen Mieten
Oberbürgermeister Jung hat in seinem Wahlkampf 2020 vollmundig 10.000 sozial geförderte Wohnungen bis 2030 versprochen. Das Programm des Freistaats Sachsen der sozialen Wohnungsförderung läuft jetzt seit 2017, seitdem wurden 631 Wohnungen im Neubau und in der Sanierung sozial gefördert, weitere 1134 Wohnungen sind vertraglich gebunden (AWS 2022). Wenn in diesem Tempo weiter gefördert und gebaut bzw. saniert wird, dann wird dieses politische Ziel weit verfehlt. Zudem kommen die neuen Sozialwohnungen derzeit mit 6,50 €/m² Kaltmiete auf den Markt – viel zu teuer. Darüber hinaus ist die derzeitige Bindungsdauer der geförderten Wohnungen mit 15 Jahren viel zu kurz. Wir fordern eine deutliche Steigerung des sozialen Wohnungsbaus, die Aufhebung der zeitlichen Befristung der Bindung und eine Fokussierung auf Wohnungsmarktakteure wie die LWB, Genossenschaften und Hausprojekte. Zudem muss die soziale Wohnraumförderung auf Sanierung und Umnutzung im Bestand konzentriert werden, da Neubau teuer und klimaschädlich ist. Außerdem müssen viel mehr Belegungsbindungen im Bestand gekauft werden, um die Zahl der Sozialwohnungen deutlich zu erhöhen.
7. Leerstand aktivieren
Seit vielen Jahren gibt es in Leipzig eine immer wieder neu aufflammende Debatte über die Zahl der leerstehenden Wohnungen und die Leerstandsquote. Teile der Wohnungswirtschaft werfen der Stadtverwaltung regelmäßig vor, diese künstlich herunterzurechnen und verweisen auf die Leerstände in ihren Beständen. Genaue Zahlen zum Leerstand werden erst die Ergebnisse der Gebäude- und Wohnungszählung (GWZ) im Rahmen des Zensus 2022 erbringen, die Mitte 2024 veröffentlicht werden sollen. Insgesamt sind es mehrere tausend leerstehende Wohnungen, die kurzfristig oder nach einer umfassenden Sanierung wieder vermietet werden könnten. Allerdings hat die Kommune so gut wie keine Möglichkeiten, Eigentümer*innen leerstehender Gebäude und Wohnungen zur Sanierung und Wiedervermietung zu bewegen und gegebenenfalls sogar zu zwingen. Das in Arbeit befindliche Zweckentfremdungsverbot des Freistaats Sachsen sieht jedoch 12 Monate Leerstand vor – viel zu lange. Der Oberbürgermeister muss weiter bei der Landesregierung darauf drängen, das das geplante Zweckentfremdungsverbot auch wirksam ist.
8. Housing First
Housing First, also die bedingungslose Zurverfügungstellung von Wohnungen für obdachlose Menschen, wird in einigen Ländern weltweit umgesetzt. Im bekanntesten Fall Finnlands zeigt sich, dass das Housing First-Modell eine effektive Methode ist, um Obdachlosigkeit zu reduzieren und das Wohlbefinden der Betroffenen zu verbessern. Bundesweit gibt es mittlerweile mehrere Housing-First-Programme in verschiedenen Städten. Erste Untersuchungen zeigen hier vielversprechende Erfolge, auch beim Leipziger „Modellprojekt Eigene Wohnung“. Wir fordern die dauerhafte Verstetigung des Modellprojektes. Durch die Stadt Leipzig soll ein Programm entwickelt werden, das die langfristige Bereitstellung von Wohnungen neben der LWB auch privaten Vermieter*innen und Wohnungsbaugenossenschaften attraktiv macht.
9. Öffentliche Debatte
Die Erarbeitung des wohnungspolitischen Konzepts wurde 2014/15 mit partizipativen Verfahren begleitet unter großer Beteiligung von Bürger*innen. Die derzeitige Fortschreibung des Konzepts findet nur mit ausgewählten Akteur*innen hinter verschlossenen Türen statt. Angesichts der dramatisch veränderten Situation auf dem Wohnungsmarkt fordern wir eine breite öffentliche Diskussion und die Beteiligung der Bürger*innenschaft! Dies sollte durch öffentliche Podien und unterschiedliche Beteiligungsformate gewährleistet werden.
Wir mischen uns weiter ein!
Literatur
- Stadt Leipzig. Stadtplanungsamt (2015): Wohnungspolitisches Konzept der Stadt Leipzig, Fortschreibung 2015.
- Stadt Leipzig. Amt für Wohnungsbau und Stadterneuerung (AWS) (2022): Wohnungsbauförderkonzeption 2023.
- Stadt Leipzig. Amt für Statistik und Wahlen (2023): Bevölkerungsvorausschätzung 2023, Leipzig.
- https://www.architects4future.de/forderungen
- https://www.materialepyramiden.dk
- https://mietenstopp.de