Bürgermeister: Aufstand der Städte

Aufstand der #Großstädte. Statt Staatschefs versuchen Bürgermeister_innen Probleme der Welt zu lösen. @zeitonline

ZEIT ONLINE: “… Adamowicz ist kein Einzelfall. In vielen Ländern beginnen Bürgermeister heute, Aufgaben zu übernehmen, die traditionell ein Nationalstaat erledigte. Diese Bürgermeister betreiben Außenpolitik, sie schmieden Städte-Allianzen über Grenzen hinweg, sie wollen Probleme lösen, wo ihre nationalen Regierungen nicht weiterkommen. Anfang Juni lud Adamowicz Bürgermeister aus anderen EU-Städten nach Danzig ein, um zu beraten, wie eine gemeinsame Flüchtlingspolitik aussehen und wie man das Geld dafür organisieren könne. Noch in derselben Woche trafen sich in Barcelona Bürgermeister und Stadträte aus Spanien und Griechenland, aus Chile und Indien, Brasilien und den USA, um “in Zeiten von Hass und autoritärer Regime für Menschenrechte, Demokratie und Gemeinwohl einzutreten”. Das Bündnis nennt sich Fearless Cities, “Städte ohne Angst”.

Die neue Macht der Städte erlebt man auch in den Vereinigten Staaten. Dort haben sich mehr als 300 Städte und Gemeinden zu den “Städten der Zuflucht” zusammengeschlossen. Sie weigern sich, die Abschiebepolitik der US-Regierung mitzutragen und mit den Beamten des Bundes zu kooperieren. Sie sehen einander als natürliche Verbündete.

Ein Mann hat das schon vor Jahren geahnt: Benjamin Barber, Politikwissenschaftler aus New York, ehemals Berater von US-Präsident Clinton. In Zeiten, in denen sich die Nationalstaaten in Interessenkonflikten verhedderten, so hoffnungslos, dass kaum Spielraum für pragmatische Politik bleibt, in solchen Zeiten wächst die Macht von Lokalpolitikern wie Pawel Adamowicz weit über die Stadtmauern hinaus. So beschreibt es Barber 2013 im Bestseller “If Mayors ruled the World” (“Würden Bürgermeister die Welt regieren”). Seine These: “Das 20. Jahrhundert ist das Jahrhundert der Nationalstaaten. Das 21. Jahrhundert ist das Jahrhundert der Städte.” Im vergangenen Jahr gründete er sogar ein “Weltparlament der Bürgermeister”.

Barbers Buch ist ein Abgesang auf den Nationalstaat als politische Einheit. Denn der Staat definiert sich über seine Grenzen, soll heute aber weltumspannende Probleme lösen: die Steuerung von Flüchtlingsbewegungen zum Beispiel oder den Kampf gegen die Erderwärmung. Viele nationale Regierungen kapitulieren vor diesen Jahrhundertaufgaben. Staaten driften auseinander in der Migrationspolitik, in Wirtschafts- und Währungsfragen. Populistische Staatschefs greifen die liberale Weltgemeinschaft an, schüren Handelskonflikte, ziehen neue Grenzmauern hoch. …

Je weiter sich Staaten voneinander entfernen, umso enger rücken nun Städte zusammen. Was sie eint, sind handfeste Nöte und Interessen. Wer glaubt, Deutschland oder die USA hätten ein Feinstaubproblem, litten an Wohnungsnot, kämpften mit wachsenden sozialen Spannungen, der irrt. Nicht die Länder haben diese Probleme – ihre Städte haben sie. Und diese sind es, die den Großteil der Flüchtlinge auf ihre Viertel verteilen und die Konflikte lösen müssen, die dabei entstehen. Da wundert es nicht, dass Berlin und New York sich in vielem näherstehen als Berlin und Brandenburg. Dass sich Danzig und Malmö ähnlicher sind als Polen und Schweden. Also werden Städte gerade zum global vernetzten Experimentierfeld für pragmatische Politik, zur Brutstätte für Innovationen. … .”

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