Die Wanderbewegung von Ost nach West ist Europas verdrängte Revolution | NZZ

Europa: In Ostmittel- und Osteuropa ist es der Bevölkerungsverlust, der paradoxerweise nationalkonservative Strömungen gestärkt hat. Die Erfahrung, dass der fähigste Teil der Bevölkerung das Land in Richtung Westen verlässt, hat einen Minderwertigkeitskomplex ausgelöst.

NZZ Neue Zürcher Zeitung: “… Die Million Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak und Afghanistan, die innert kurzer Zeit nach Europa strömten, sind zweifellos eine grosse Herausforderung. Ihre Bedeutung verblasst aber im Vergleich zur innereuropäischen Völkerwanderung seit dem Fall des Eisernen Vorhangs. Die friedliche Migration von Ost nach West seit 1989 hat den europäischen Kontinent umgewälzt. Schätzungen des Vienna Institute of Demography gehen von 12 bis 15 Millionen Menschen aus, die ihre ost- und ostmitteleuropäische Heimat verlassen haben, um im Ausland zu leben und zu arbeiten. Der grösste Teil wählte westeuropäische Länder als Destination. …

In Ostmittel- und Osteuropa ist es hingegen der Bevölkerungsverlust, der paradoxerweise nationalkonservative Strömungen gestärkt hat. Die Erfahrung, dass der fähigste Teil der Bevölkerung das Land in Richtung Westen verlässt, hat einen Minderwertigkeitskomplex ausgelöst. Diesen trägt auch ein Teil der Migranten in sich, die vor allem vor den EU-Beitritten der Osteuropäer 2004 und 2007 in Westeuropa trotz guter Ausbildung ganz unten anfangen mussten; das Fehlen der Anerkennung von Diplomen, das Fehlen der Verhandlungsmacht der Einwanderer auf dem Arbeitsmarkt und teilweise ausbeuterische Strukturen trugen dazu bei. … .”

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