Schlagwort-Archive: Mietenwahnsinn

Die Mietpreispolitik der LWB – Hintergründe, Notwendigkeiten, Konsequenzen

Solidarisch oder polarisierend?

Zeit: Freitag, 27. Oktober 2023, 18 bis 20 Uhr
Ort: Volkshaus, Erich-Schilling-Saal (5. Etage), Karl-Liebknecht-Str. 30/32

Die Mietererhöhungen des kommunalen Wohnungsunternehmens LWB erhitzen die Leipziger Gemüter. Das Unternehmen selbst verteidigt seine jährlich über 6000 Erhöhungen auf Grundlage des qualifizierten Mietspiegels als solidarisches Modell: Das Einnahmewachstum soll Stadtteilen mit geringerer Vergleichsmiete zu Gute kommen und sei für die Bewältigung der Sanierungs- und Neubauvorhaben des Unternehmens nötig. Kritiker:innen der systematischen Erhöhungspraxis argumentieren, dass auf diese Weise Stadtteile gegeneinander ausgespielt, die Stadtgesellschaft gespalten und Geringerverdienende aus ihren innerstädtischen Quartieren verdrängt werden. Sie berufen sich auf das vom Stadtrat 2018 beschlossene Integrierte Stadtentwicklungskonzept (INSEK), dessen Ziel eine soziale Mischung in allen Wohnquartieren ist. Daher fordern sie, dass die LWB als städtisches Tochterunternehmen ihre Geschäftspraxis an dieser Prämisse ausrichtet. In der Podiumsdiskussion werden ein:e Unternehmensvertreter:in der LWB, zwei Mieter:innen und der Stadtsoziologe Dieter Rink gemeinsam das Für und Wider der Erhöhungspraxis diskutieren, Hintergründe, Notwendigkeiten und Konsequenzen dieses Vorgehens beleuchten und nach einer für alle Seiten gangbaren Lösung suchen.

Podium und Diskussion mit:

  • Andreas Dohrn (Aufsichtsrat LWB)
  • Prof. Dr. Dieter Rink (Dept. Stadt- und Umweltsoziologie, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ Leipzig)
  • Carsten Möller
  • Miriam Paulsen (LWB-Mieter*innen)
  • Moderation: Manuela Grimm (DGB Leipzig-Nordsachsen).

Veranstaltet vom Netzwerk „Leipzig – Stadt für alle“ und DGB Leipzig-Nordsachsen

das ganze Baugesetzbuch

Wir wollen nicht nur sechs kleine Milieuschutzgebiete, sondern das ganze Baugesetzbuch – und noch mehr!

Das Netzwerk „Leipzig – Stadt für alle“ setzt sich seit 2017 intensiv für die Einführung sogenannter Milieuschutzgebiete ein. Wir freuen uns, dass unsere Forderungen aus der Pressemitteilung vom 9. Juni 2020 nun zum Teil umgesetzt werden und mit den ersten sechs Gebieten etwa 48.000 von insgesamt 343.000 Haushalten in Leipzig (also ca. 14 Prozent) einen gewissen Schutz vor Luxusmodernisierungen und den damit verbundenen Mietsteigerungen und Verdrängungsprozessen erhalten.

Das ist jedoch nicht genug! Mit Blick auf aktuelle Entwicklungen fordern wir deshalb:

1. Milieuschutzgebiete ausweiten und weitere Quartiere auf Anwendbarkeit der sozialen Erhaltungssatzung prüfen!

Seit Sommer 2020 bestehen in sechs sogenannten Milieuschutzgebieten in Leipzig soziale Erhaltungssatzungen nach § 172 des Baugesetzbuches (BauGB). Rings um die Eisenbahnstraße, am Lene-Voigt-Park, in weiten Teilen von Connewitz, Lindenau und Altlindenau sowie in einem kleinen Bereich von Eutritzsch soll damit die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung aus städtebaulichen Gründen erhalten werden. Nun können in den genannten Gebieten durch die Stadtverwaltung bauliche Maßnahmen unterbunden werden, wenn durch diese eine Verdrängung ansässiger Bevölkerungsgruppen zu befürchten ist.

Bei der Ratsversammlung am 14. Oktober wird auf Vorschlag der Stadtverwaltung darüber diskutiert und abgestimmt, ob für vier zusätzliche Gebiete Aufstellungsbeschlüsse getroffen und ein detaillierte Untersuchungen beauftragt werden sollen. Die betreffenden Gebiete in Kleinzschocher, Plagwitz, Leutzsch und Altlindenau grenzen z. T. unmittelbar an die bereits beschlossenen Milieuschutzgebiete an und sind den gleichen immobilienwirtschaftlichen Prozessen unterworfen. Sie sind von den bisherigen Satzungen nur deshalb nicht erfasst worden, weil bei den Haushaltsbefragungen zu wenige Mieter_innen erreicht wurden, sodass keine ausreichende Datengrundlage zustande kam. Dennoch wurde in der ersten Detailuntersuchung für den Leipziger Westen das Aufwertungspotenzial in den neuen Teilgebieten in Kleinzschocher, Plagwitz, Altlindenau und Leutzsch bereits als hoch eingestuft. Daraus folgte die Empfehlung, die genannten Gebiete im Zusammenhang mit ihrer Umgebung vertiefend zu untersuchen.

Wir fordern die Stadträtinnen und Stadträte aller demokratischen Fraktionen daher auf, den Weg für eine solche Untersuchung und die Erweiterung der Milieuschutzgebiete freizumachen und den Aufstellungsbeschlüssen zuzustimmen.

Bei der im April 2020 durchgeführten Detailuntersuchung für den Stadtraum Nord wurden neben dem mittlerweile beschlossenen Satzungsgebiet in Eutritzsch auch ein kleiner Teil von Gohlis untersucht und dabei ein signifikantes Aufwertungs- und Verdrängungspotenzial nachgewiesen. Zugleich erwies sich dieses Gebiet jedoch als zu klein für einen sinnvollen Satzungsbeschluss.

Für das Untersuchungsgebiet Gohlis und die potenziellen Erweiterungsgebiete links und rechts der Georg-Schumann-Straße, besser aber ausgreifend bis nach Möckern oder Wahren sollte daher ebenfalls bald ein Aufstellungsbeschluss getroffen und eine erneute Untersuchung eingeleitet werden.

In ähnlicher Weise gilt dies für bislang noch nicht untersuchte Bereiche der Stadt mit einem hohen Anteil an gründerzeitlicher Bausubstanz wie etwa in Schönefeld, Sellerhausen-Stünz oder Stötteritz.

2. Wirksamkeit der Milieuschutzgebiete erhöhen und weitere Instrumente zur Anwendung bringen!

Die Milieuschutzgebiete sind eines der schärfsten der vielen eher stumpfen Schwerter im Arsenal der Wohnungspolitik. Dieses Schwert kann und muss noch weiter geschärft und damit besser nutzbar gemacht werden. Dazu ist in erster Linie ein Verbot der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen nötig. In der Bundesregierung und im Bundestag hat die Auseinandersetzung um ein wirksames Umwandlungsverbot im Rahmen der geplanten Novellierung des Baugesetzbuches jüngst an Dynamik gewonnen gewonnen; der Ausgang ist jedoch ungewiss.

Die sächsische Landesregierung will derweil laut Koalitionsvertrag, den Kommunen ermöglichen, „bei Fehlentwicklungen auf dem Wohnungsmarkt geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen“, zu denen „Instrumente wie die Mietpreisbremse, Kappungsgrenzen sowie Zweckentfremdungs- und Umnutzungsverbote“ zählen. Das zuständige Staatsministerium für Regionalentwicklung unter Thomas Schmidt (CDU) zeichnet sich diesbezüglich jedoch bisher durch Untätigkeit aus. Wie zuletzt im Juni 2020 vom Leipziger Stadtrat beauftragt, sollten sich Oberbürgermeister und Stadtverwaltung dringend für entsprechende landesrechtliche Regelungen einsetzen.

Bei den anstehenden Verhandlungen über den städtischen Haushalt müssen überdies unbedingt ausreichende Mittel vorgesehen werden, um in den Milieuschutzgebieten wo nötig das kommunale Vorkaufsrecht an Mietshäusern nutzen zu können. Da dieses in der Regel zugunsten Dritter – der kommunalen Wohnungsgesellschaft, Genossenschaften oder anderen gemeinwohlorientierten Trägern – ausgeübt wird, fallen effektiv nicht die vollen Kaufpreise als städtische Ausgaben an. Sinnvoll sind jedoch Zuschüsse, durch die auch bei hohen Preisen bezahlbare Mieten erhalten werden können. Solche leistet beispielsweise das Land Berlin, wo mehrere Bezirke eine effektive Praxis zur Nutzung des Vorkaufsrechts in Milieuschutzgebieten entwickelt haben.

Wir fordern die Stadträtinnen und Stadträte aller demokratischen Fraktionen daher auf, sich sowohl im Stadtrat – insbesondere bei der Erstellung des nächsten Haushalts – als auch bei ihren Parteien und Fraktionen auf Landes- und Bundesebene dafür einzusetzen, die rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen für die Nutzung weiterer Instrumente in Milieuschutzgebieten und darüber hinaus zu schaffen!

3. Sozialplanung nach § 180 BauGB wieder aufnehmen!

Um Mieter_innen wirksam vor starken Mietsteigerungen und Verdrängung zu schützen, sollten des Weiteren die Instrumente der Sozialplanung nach § 180 BauGB genutzt werden, wie dies zu Beginn der 1990er Jahre in Leipzig bereits erfolgreich praktiziert wurde.

Sozialpläne können Maßnahmen vorsehen, die nachteiligen Auswirkungen von städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen auf die Lebensumstände der in dem Gebiet wohnenden oder arbeitenden Menschen vermeiden oder mildern.

4. Einführung von Verordnungsmieten auf der Grundlage gebietsspezifischer Mietspiegel prüfen!

Damit die Stadtverwaltung sinnvoll prüfen kann, ob Modernisierungen in Milieuschutzgebieten über den zeitgemäßen Ausstattungsstandard hinausgehen, sind stringente Prüfkriterien erforderlich. Einige Bezirke in Berlin nutzen hierzu die Messung einer Verordnungsmiete, die auf gebietsspezifischen Mietspiegeln basiert. Nach einer Modernisierung veranschlagte Mieten müssen im Rahmen der Verordnungsmiete liegen, damit eine Modernisierungsmaßnahme nicht als Gefährdung der Ziele des Milieuschutzes gilt. Andernfalls wird sie untersagt. Die gebietsspezifischen Mietspiegel sind dabei auf wissenschaftlicher Grundlage und statistisch fundiert zu erstellen.

Wir bitten die Stadträtinnen und Stadträte aller demokratischen Fraktionen, sich mit ihren Parteifreund_innen in den betreffenden Berliner Bezirken zu beraten, inwieweit das Instrument der Verordnungsmieten auch in Leipzig sinnvoll und rechtssicher eingesetzt werden kann. Bei positiver Prüfung sollte der Stadtrat die Stadtverwaltung bald mit der Umsetzung beauftragen.

Wir Leipziger Mieter_innen leben in einer Stadt mit angespanntem Wohnungsmarkt. Auch wenn die Corona-Pandemie und ihre gesellschaftlichen Folgewirkungen vermutlich einige Änderungen mit sich bringen, wird sich die Situation insbesondere für Menschen, die nur über niedrige Einkommen verfügen und/oder aus anderen Gründen auf dem Wohnungsmarkt benachteiligt werden, nicht so schnell ändern. Daher müssen die bestehenden wohnungspolitischen Instrumente zur Anwendung gebracht, ausgeweitet und verbessert werden sowie neue Maßnahmen entwickelt werden.

Mietenwahnsinn-Demo in Leipzig 2019 (Stadtbiblitothek)

Redebeitrag bei der #Mietenwahnsinn-Demo am 6. April 2019

Vor über sieben Jahren haben wir das Netzwerk „Leipzig – Stadt für alle“ gegründet. Unser Ziel war damals, dass städtisches Eigentum nicht weiter privatisiert wird und die Stadt der Mietenentwicklung durch eine aktive Wohnungs- und Bodenpolitik entgegengewirkt.

Als dann aber das Wohnen immer teurer wurde, konnten wir aus der Stadt vernehmen, dass die Mieter_innen sich einfach an steigende Mieten gewöhnen müssten. Gentrifizierung sei in einer wachsenden Stadt ganz normal. Es ist also nicht verwunderlich, dass die Stadt Leipzig es verschlafen hat, große Flächen selbst zu entwickeln. Die Freude über das Interesse privater Investoren schien zu groß, als die Chance für eine andere, soziale Bodenpolitik wahrzunehmen.

Und heute? Sich beklagen, dass große Bauflächen, wie der Bayerische oder der Eutritzscher Bahnhof an private Unternehmen wie die Leipziger Stadtbau AG verkauft wurden und diese die Gebiete jetzt entwickeln? Und sich beschweren, dass die CG-Gruppe, einer der größten Projektentwickler Deutschlands, jetzt das gleiche macht wie in Berlin, Hamburg und sonst wo? Nämlich entwickeln, dann weiterverkaufen und dickes Geld verdienen. Der Leipziger Wohnungsmarkt funktioniert nach den gleichen Regeln wie anderswo. Worauf wartet die Politik denn nur, bis sie endlich in die Stadtentwicklung eingreifen will?

Dass Leipzig ein Wohnungsproblem hat, ist auch in der Presse und in der Breite der Stadtgesellschaft angekommen. Uns wird aber der Mythos vorgesetzt, der Neubau von Wohnungen sei das Allheilmittel, um den Mietwohnungsmarkt zu entlasten.

Seit über sieben Jahren versuchen wir, von „Leipzig – Stadt für alle“ mit solchen Mythen aufzuräumen – also los:

Es stimmt einfach nicht, dass nur das Wohnungsangebot ausgeweitet werden muss, um die Nachfrage zu entlasten. Selbst teurer Neubau wie am Bayerischen Bahnhof, so wird behauptet, schaffe durch Umzugsketten freie Wohnungen im preiswerten Segment. Aber auch die gut verdienenden Mieter_innen wollen günstig wohnen und konkurrieren mit allen anderen um die wenigen preiswerten Wohnungen. Und dort, wo die Nachfrage schon sehr hoch ist, sind oft auch die Mieten hoch. Hier teuren Neubau zu schaffen, löst nicht das Problem, sondern führt sogar dazu, dass in den angrenzenden Stadtteilen die Miete steigt. Wir brauchen nicht nur mehr Wohnungen, sondern (– ja, mehr – aber vor allem) mehr bezahlbare Wohnungen!

Aber solange es attraktiv bleibt, mit Wohnungen im Luxussegment hohe Rendite zu machen, wird kein preiswerter Wohnraum geschaffen.

Um das zu ändern, gibt es politische und stadtplanerische Mittel, die aber spät und zu zögerlich zum Einsatz kommen. Soziale Erhaltungssatzungen können die bestehenden niedrigen Mieten schützen. Mit Bebauungsplänen müssen in den neuen Quartieren preiswerte Wohnungen geschaffen werden. Denn Politik und Verwaltung können sehr wohl – anders als ein weiterer Mythos behauptet – Einfluss auf große private Investitionsprojekte nehmen. Im Baurecht gibt es weitere Möglichkeiten, genau auf die Situation in Leipzig zu reagieren.

Trotz der verpassten Chancen der Stadt, Gebiete selbst zu erwerben, kann sie regulierend auf die Bebauung einwirken. Es ist nicht alles zu spät. Kommunalpolitik und Verwaltung müssen aber auch handeln wollen – oder sind sie zu behäbig zum Planen?

Wir wollen uns nicht mit dem Verweis auf angebliche Sachzwänge abfrühstücken lassen. Es wird gesagt, die Stadt habe kein Geld, um utopische Wohnungspolitik zu machen. Ein Grund mehr, das Wohnungsproblem in den Griff zu bekommen! Denn wenn die Miete steigt, steigen auch die staatlichen Zuschüsse für Haushalte mit wenig Geld. Bund und Kommune müssen diese zusätzlichen Kosten dann übernehmen. Die einzigen, die davon profitieren, sind die Vermieterinnen und Vermieter.

Wie es anders geht?

In Leipzig gründen sich Genossenschaften und zeigen, wie ohne Renditeerwartungen saniert oder neu gebaut wird. In Berlin ist eine breite Bewegung für die Enteignung großer profitgetriebener Wohnungsgesellschaften entstanden. Vorschläge für eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit und die Stärkung öffentlichen Wohneigentums liegen längst auf dem Tisch.

Denn entgegen der Behauptung, wir würden uns der Herausforderung einer nachhaltigen Stadtentwicklung nicht stellen, üben wir strukturelle Kritik und schlagen Lösungen vor. Wir wollen uns nämlich gar nicht an hohe Mieten gewöhnen, sondern von einem anderen Wirtschaften erzählen.

Es geht nicht um Mitsprache bei vorgestanzten Beteiligungsverfahren, sondern um eine selbstbestimmte gesellschaftliche Bewegung für eine Stadt für alle. Die Mieter_innen selbst sind es, die Alternativen zum bisherigen Markt vorleben und aufzeigen.

Es geht darum, sich Orte dieser Stadt wieder anzueignen, die das Leben in der wachsenden Stadt lebenswert machen. Mieten und Wohnen sind zentrale Aspekte dieser politischen Aushandlung.

Bleiben wir also Teil dieser Aushandlung, bleiben wir Teil einer Bewegung von Mieter_innen für Mieter_innen – dann wird das schon mit dem guten Leben.

(Dankeschön)


Der Redebeitrag wurde anlässlich der #Mietenwahnsinn-Demo 2019 gehalten. In Leipzig waren dem Aufruf von Leipzig für alle: Aktionsbündnis Wohnen 3.000 bis 5.000 Menschen gefolgt. In fast 20 deutschen Städten demonstrierten mindestens 55.000 Menschen gegen hohe Mieten, Verdrängung und Mietenwahnsinn. Auch europaweit gingen in 22 weiteren Städten Menschen auf die Straße. Bereits im Vorfeld der Demonstrationen gab es in diesen und weiteren Städten Aktionen.