Vor über sieben Jahren haben wir das Netzwerk „Leipzig – Stadt für alle“ gegründet. Unser Ziel war damals, dass städtisches Eigentum nicht weiter privatisiert wird und die Stadt der Mietenentwicklung durch eine aktive Wohnungs- und Bodenpolitik entgegengewirkt.
Als dann aber das Wohnen immer teurer wurde, konnten wir aus der Stadt vernehmen, dass die Mieter_innen sich einfach an steigende Mieten gewöhnen müssten. Gentrifizierung sei in einer wachsenden Stadt ganz normal. Es ist also nicht verwunderlich, dass die Stadt Leipzig es verschlafen hat, große Flächen selbst zu entwickeln. Die Freude über das Interesse privater Investoren schien zu groß, als die Chance für eine andere, soziale Bodenpolitik wahrzunehmen.
Und heute? Sich beklagen, dass große Bauflächen, wie der Bayerische oder der Eutritzscher Bahnhof an private Unternehmen wie die Leipziger Stadtbau AG verkauft wurden und diese die Gebiete jetzt entwickeln? Und sich beschweren, dass die CG-Gruppe, einer der größten Projektentwickler Deutschlands, jetzt das gleiche macht wie in Berlin, Hamburg und sonst wo? Nämlich entwickeln, dann weiterverkaufen und dickes Geld verdienen. Der Leipziger Wohnungsmarkt funktioniert nach den gleichen Regeln wie anderswo. Worauf wartet die Politik denn nur, bis sie endlich in die Stadtentwicklung eingreifen will?
Dass Leipzig ein Wohnungsproblem hat, ist auch in der Presse und in der Breite der Stadtgesellschaft angekommen. Uns wird aber der Mythos vorgesetzt, der Neubau von Wohnungen sei das Allheilmittel, um den Mietwohnungsmarkt zu entlasten.
Seit über sieben Jahren versuchen wir, von „Leipzig – Stadt für alle“ mit solchen Mythen aufzuräumen – also los:
Es stimmt einfach nicht, dass nur das Wohnungsangebot ausgeweitet werden muss, um die Nachfrage zu entlasten. Selbst teurer Neubau wie am Bayerischen Bahnhof, so wird behauptet, schaffe durch Umzugsketten freie Wohnungen im preiswerten Segment. Aber auch die gut verdienenden Mieter_innen wollen günstig wohnen und konkurrieren mit allen anderen um die wenigen preiswerten Wohnungen. Und dort, wo die Nachfrage schon sehr hoch ist, sind oft auch die Mieten hoch. Hier teuren Neubau zu schaffen, löst nicht das Problem, sondern führt sogar dazu, dass in den angrenzenden Stadtteilen die Miete steigt. Wir brauchen nicht nur mehr Wohnungen, sondern (– ja, mehr – aber vor allem) mehr bezahlbare Wohnungen!
Aber solange es attraktiv bleibt, mit Wohnungen im Luxussegment hohe Rendite zu machen, wird kein preiswerter Wohnraum geschaffen.
Um das zu ändern, gibt es politische und stadtplanerische Mittel, die aber spät und zu zögerlich zum Einsatz kommen. Soziale Erhaltungssatzungen können die bestehenden niedrigen Mieten schützen. Mit Bebauungsplänen müssen in den neuen Quartieren preiswerte Wohnungen geschaffen werden. Denn Politik und Verwaltung können sehr wohl – anders als ein weiterer Mythos behauptet – Einfluss auf große private Investitionsprojekte nehmen. Im Baurecht gibt es weitere Möglichkeiten, genau auf die Situation in Leipzig zu reagieren.
Trotz der verpassten Chancen der Stadt, Gebiete selbst zu erwerben, kann sie regulierend auf die Bebauung einwirken. Es ist nicht alles zu spät. Kommunalpolitik und Verwaltung müssen aber auch handeln wollen – oder sind sie zu behäbig zum Planen?
Wir wollen uns nicht mit dem Verweis auf angebliche Sachzwänge abfrühstücken lassen. Es wird gesagt, die Stadt habe kein Geld, um utopische Wohnungspolitik zu machen. Ein Grund mehr, das Wohnungsproblem in den Griff zu bekommen! Denn wenn die Miete steigt, steigen auch die staatlichen Zuschüsse für Haushalte mit wenig Geld. Bund und Kommune müssen diese zusätzlichen Kosten dann übernehmen. Die einzigen, die davon profitieren, sind die Vermieterinnen und Vermieter.
Wie es anders geht?
In Leipzig gründen sich Genossenschaften und zeigen, wie ohne Renditeerwartungen saniert oder neu gebaut wird. In Berlin ist eine breite Bewegung für die Enteignung großer profitgetriebener Wohnungsgesellschaften entstanden. Vorschläge für eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit und die Stärkung öffentlichen Wohneigentums liegen längst auf dem Tisch.
Denn entgegen der Behauptung, wir würden uns der Herausforderung einer nachhaltigen Stadtentwicklung nicht stellen, üben wir strukturelle Kritik und schlagen Lösungen vor. Wir wollen uns nämlich gar nicht an hohe Mieten gewöhnen, sondern von einem anderen Wirtschaften erzählen.
Es geht nicht um Mitsprache bei vorgestanzten Beteiligungsverfahren, sondern um eine selbstbestimmte gesellschaftliche Bewegung für eine Stadt für alle. Die Mieter_innen selbst sind es, die Alternativen zum bisherigen Markt vorleben und aufzeigen.
Es geht darum, sich Orte dieser Stadt wieder anzueignen, die das Leben in der wachsenden Stadt lebenswert machen. Mieten und Wohnen sind zentrale Aspekte dieser politischen Aushandlung.
Bleiben wir also Teil dieser Aushandlung, bleiben wir Teil einer Bewegung von Mieter_innen für Mieter_innen – dann wird das schon mit dem guten Leben.
(Dankeschön)
Der Redebeitrag wurde anlässlich der #Mietenwahnsinn-Demo 2019 gehalten. In Leipzig waren dem Aufruf von Leipzig für alle: Aktionsbündnis Wohnen 3.000 bis 5.000 Menschen gefolgt. In fast 20 deutschen Städten demonstrierten mindestens 55.000 Menschen gegen hohe Mieten, Verdrängung und Mietenwahnsinn. Auch europaweit gingen in 22 weiteren Städten Menschen auf die Straße. Bereits im Vorfeld der Demonstrationen gab es in diesen und weiteren Städten Aktionen.